Willkommen bei einer Amplifier-Neuheit: Gastbeiträge! Heute berichtet Artemio von seinem Besuch beim Punkrock Holiday Festival in Slowenien, und weil der gute Mann so viel zu erzählen hat, machen wir eine Serie daraus. Vielen Dank an dieser Stelle auch an Punkrock Holiday mit seinen beiden Fotografen Silvy Maatman und Marco Mazgon, die uns ihren gesamten Fotopool zur Verfügung stellen. So nun aber genug Gelaber, viel Spaß mit Tag 1:
Das Punkrock Holiday Festival hat sich in seinem achtjährigen Bestehen zu dem Top-Event in Sachen Punkrock in Europa gemausert. Das liegt zum einen an den Bands, die dort spielen und zum anderen an der an einem Gebirgsfluss gelegenen malerischen Location. Nachdem sich das letztjährige Line-Up hammermäßig gelesen hat, war einer 9-köpfigen Gruppe Mädels und Jungs schnell klar, dass sie sich im September 2017 Karten für 2018 holt, um dem Erlebnis PRH endlich beizuwohnen. Die Vorfreude war bereits groß, und dass, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt keine Band feststand.
Zeitsprung zu Montag, 06. August 2018: Tag 1
Nach einer circa zehnstündigen Fahrt kamen wir gegen acht Uhr morgens am Gelände neben dem beschaulichen Örtchen Tolmin an, wo wir uns erst mal die nötigen Bändchen holten und die Zelte aufbauten. Nach einem ersten Bierchen ging es los, das Gelände zu erkunden und endlich die Atmosphäre des Strands der Beach-Stage (umgangssprachlich: die Beach; so wie in: „Lass uns zur Beach gehen!“) leibhaftig zu erleben. Das PRH hat zwei Zeltplätze, auf denen man auch parken kann und einen im Wald, nahe den Bühnen, Duschen und den ganzen Essensständen. Sobald man den Wald betrat, wurde die Temperatur auch erheblich angenehmer, was bei einer durchschnittlichen Hitze von 33° nicht unerheblich war.
Nach einem ungefähr 20-minütigem Spaziergang erreichten wir zum ersten Mal den letzten Zipfel der Location, die Beach-Stage. Und was soll man sagen? Wir waren alle restlos begeistert. Von der Bühne schallte ein bunter Punk-Mix aus der Konserve und es herrschte bereits reges Treiben am Strand und um die Essensstände und Theken. Wer daran gedacht hatte, Badeklamotten eingepackt zu haben, war auf der Gewinnerseite. Ich gehörte leider zum dreckigen Rest. Naja, egal. Schuhe aus und zumindest mit den Beinen ins eiskalte Wasser des Flusses Soča. Und wenn ich „eiskalt“ schreibe, dann meine ich wirklich saumäßig kalt. Und dass schon ab dem ersten Zentimeter Tiefe. Das sollte uns in den nächsten Tagen allerdings nur zugutekommen, da es wirklich die ganze Woche über sehr heiß war. Nach einiger Zeit gingen wir zurück zu unseren Zelten, um zu essen, mehr zu trinken und Kraft für die offizielle Pre-Party des heutigen Abends zu sammeln. Da wir gegen Sonntagabend losgefahren waren, waren zu diesem Zeitpunkt die Meisten von uns – von einigen kurzen Nickerchen während der Fahrt abgesehen – bereits seit 24 Stunden wach. Da sich diese Aufwärmphase etwas verzögerte, verpasste ich leider die ersten beiden Bands, von denen es mich vor allem wegen UNION 13 ärgerte. Diese hatten in der zweiten Hälfte der Neunziger drei Alben auf EPITAPH und waren des Öfteren auf den PUNKORAMA-Samplern vertreten (Der Song „The Game“ ist einer dieser Knaller).
Also ging das Festival für mich mit DOG EAT DOG los. Was habe ich diese Band zu „All Boro Kings“- und „Play Games“-Zeiten abgefeiert… Auf der Tour zu letztgenanntem Album hatte ich sogar das Glück, sie in Strasbourg zu sehen. Und jetzt, zig Jahre später also auf dem PRH. Sie spielten alle zu erwartenden Hits (beginnend mit „If These Are Good Times“ über „Who’s The King?“, „Rookie“, „Isms“, bis hin zu „No Fronts“) und selbstverständlich war das Saxofon auch mit dabei, auch wenn es nicht mehr vom rothaarigen Typen gespielt wird. Der einzige Störfaktor war, dass der Sänger, der einzig verbleibende Rothaarige, zwischendurch zu viel komisches Representin‘-Zeug laberte und sich somit die Chance vermasselte, noch mehr Lieder zu spielen. Schade, denn generell machten sie einen sympathischen und fitten Eindruck. Ein guter Start in den Wahnsinn, der die Woche noch folgen sollte.
Danach HLADNO PIVO aus Zagreb, die konsequent auf Kroatisch sangen. Sie scheinen ziemlich bekannt zu sein, zumindest war vor der Bühne schon gut was los. Verwundert bei ihrem melodischen Punkrock aber auch nicht. Als Überraschung kam am Ende der ewige Gassenhauer der GOLDENEN ZITRONEN, „Für immer Punk“. Und da sangen sie sogar deutsch. Da freut sich das alte Deutschpunker-Herz, Prost! Notiz am Rande: Wenn man seinen Platz schlau wählt, dann kann man die Bühne gut sehen, hat einen guten Sound und man kommt schnell an die Theken. Diese boten neben dem obligatorischen Bier (0,5 Liter für 4,-€) auch allerlei Softdrinks und Cocktails (korrekt gemixte 0,5 Liter für 9,-€) feil. Und wenn man erst mal das Pfandsystem verstanden hat (ist eigentlich gar nicht so kompliziert), dann steht dem Getränkekauf nichts mehr im Wege. Auf dem PRH läuft übrigens alles über eine Karte, die man sich wie man lustig ist aufladen kann.
Als Nächstes auf dem Programm: Die MAD CADDIES akustisch am kleinen Stand einer Sockenfirma. War viel los, der Sound dennoch okay. Kann man mal mitnehmen; sie sollten ja am folgenden Tag auf der Mainstage noch mal „richtig“ spielen.
Zurück an der Hauptbühne ging’s weiter mit HAPPY OL‘ McWEASEL. Ein lustiger Name für eine lustige Truppe. Die Slowenen spielen die Art von Musik, die ich eigentlich überhaupt nicht abkann, und zwar Folk-Punk im Geiste von Flogging Molly und Konsorten. Lustigerweise wussten sie mich aber dennoch zu begeistern und die Dreiviertelstunde war ruckzuck um. Doch eine Frage bleibt offen: What shall we do with the drunken sailor?
Da es für die Reisegruppe mittlerweile schon spät geworden war, traten wir nun den Heimweg zum Zeltplatz an, mit dem Plan, in zwei Stunden wieder zurückzukommen, um THE VANDALS zu sehen. Doch der Schlaf war letztlich stärker als das Verlangen, diese Band zu sehen. Danke, Körper! Vielleicht klappt’s ja nächstes Mal.
07.08.2018 – Tag 2
Nachdem wir den ganzen Tag mit baden und faul in der Sonne liegen am Strand verbracht hatten und somit keine der Beach-Stage-Bands gesehen haben, war es 19 Uhr, als wir zu THE MENZINGERS an die Mainstage kamen. Diese Band hat es einfach drauf, geile Melodien in hymnische Punksongs zu verpacken. Und Songs wie „I Don’t Wanna Be An Asshole Anymore“ zeigen zudem, dass sie auch textlich einiges zu bieten haben. Singalongs vom ersten Song an, glückliche Gesichter, wohin man schaute und eine Band, die vor Spielfreude sprühte. Egal, ob langsamere, Midtempo oder schnellere Stücke, das Publikum nahm jedes Lied dankend an. Als dann die ersten Töne von „In Remission“ ertönten, gab es kein Halten mehr und spätestens bei der Bridge sang wirklich jeder Einzelne mit: „If everyone needs a crutch, then I need a wheelchair. I need a reason to reason with you.” Yeah!
Im Anschluss dann COMEBACK KID, die technisch-versierten Melodic-Punk der heftigeren, sprich hardcore-lastigeren, Gangart spielten, aber immer die Waage zwischen melodischen und Knüppel-Parts hielten. Besonders der Sänger meisterte diese Gratwanderung sehr gut und somit machte das grundsolide Set Spaß, auch wenn es kein Oberknaller war. Die Kids sagen dazu wohl „stabil“.
Ihnen folgten TERROR. Wie diese Band so groß werden konnte, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Langweiliger, uninspirierter und stark metal-mäßiger Hardcore ohne jegliche Melodie, wie er im (Wannabe-)Tough-Guy-Bilderbuch steht. Absolut überbewerteter Schrott. Wo ist Ray Cappo, wenn man ihn braucht?
Diesem Tiefpunkt folgten die schwedischen Melodic-Punk-Pioniere von NO FUN AT ALL. Endlich wieder Melodien und davon nicht zu wenige. Sie spielten viele Songs ihrer Alben „Out Of Bounds“ und „The Big Knockover“, doch hier und da wurden auch noch noch ältere bzw. neuere Songs von ihrem letzten Album „Grit“, wie z. B. „Spirit“ eingestreut. Zur Freude Aller spielten sie sogar den ersten Track „Where’s The Truth?“ ihrer ersten EP „Vision“. Lang ist’s her, dennoch nach wie vor ein krasser Song und keinerlei Ermüdungserscheinungen seitens der Band. Die Typen sind, mit Unterbrechungen, seit 1991 mit dabei und stecken dennoch so viele von jüngeren Bands locker in die Tasche, was Power anbelangt. Dies liegt nicht zuletzt an Ingemar, ihrem Sänger, dessen Stimme man aus Tausenden sofort erkennt. Und auch die anderen in der Band waren sich nicht zu schade, ihre Freude zu zeigen. Die Stagediver dankten der Band ihre Performance und liefen zur Höchstform auf. Wer sich nicht am Circle Pit beteiligte, der sang einfach mit. Hits gab’s zur Genüge, wenn nicht sogar ausschließlich. Beim abschließenden „Master Celebrator“ stand die Bühne voller Fans. Schön anzuschauen. Hierzu gilt es anzumerken, dass es beim PRH keinerlei Absperrung gibt. Coole Sache, die dem Punk-Gedanken voll entspricht.
Auf den Geschwindigkeitsrausch von NO FUN AT ALL folgte der entspannte Ska-Punk der kalifornischen MAD CADDIES. Ich habe die Band, die mittlerweile sieben Studioalben vorweisen kann, bereits seit ihrem 97er Album „Quality Soft Core“ auf dem Schirm, und habe sie glücklicherweise auch seit 2000 mehrmals live sehen dürfen. Diese Band wusste schon immer genau, wie sie das Publikum begeistern kann. Ihr Mix aus langsamen und übermelodiösen Ska-Stücken, die teilweise mit verzerrten Punkrock-Versatzstücken gepaart sind, und Melodic-Punk-Smashern, wie „Econoline“, bieten eine perfektes Potpourri für jede ausgelassene Party. Let’s get „Drinking For Eleven“! Statt anschließend die Aftershow-Party an der Beach-Stage zu besuchen, machten wir unsere eigene am Zeltplatz. Es sollte jeden Tag eine weitere folgen…
08.08.2018 – Tag 3
Wenn man sich beim PRH auf eine Sache verlassen kann, dann ist es die Tatsache, dass die Sonne einen um spätestens halb neun aus dem Zelt zwingt. Nach einem Frühstück mit selbst gekochtem Kaffee und Croissants vom an das Festivalgelände angrenzenden Aldi (der in Slowenien Hofer heißt) pilgerte die Reisegruppe geschlossen die circa 5 Minuten an den nächsten Strand des Flusses Soča, der mit seinem glasklaren und erfrischend kalten Wasser eindeutig eine der Hauptattraktionen dieses Festivals ist. Lustig anzusehen sind Luftmatratzen und Schwimmutensilien in den verschiedensten Ausführungen: Pizzastücke, Bierkrüge, Palmeninseln, etc. Doch die absoluten Spitzenreiter in der heutigen Punkerszene sind geschlechtsunabhängig Einhörner und Flamingos. Macht auf alle Fälle Laune zu sehen, dass sich die Menschen hier nicht zu ernst nehmen und unverkrampft Spaß haben können. Auch wenn das heißt, dass zwischen NOFX und SNUFF auch mal Britney Spears aus den Boxen der Besucher dröhnt. Aber immerhin noch besser als Dropkick Murphys…
Heute ging’s relativ früh an die Beach-Stage, um SKIN OF TEARS aus Wermelskirchen/Deutschland anzuschauen. Wieder eine Band aus der Zeit, in der alle schienen Melodic-Punk zu spielen. Sie sind aber eine der wenigen Gruppen aus Deutschland, die das richtig gut und konstant gemacht haben und auch im Ausland etwas Aufmerksamkeit erlangen konnten. Ansonsten fällt mir nur noch NOT AVAILABLE ein. Wie auch immer, SKIN OF TEARS haben zwischen 1995 und 2003 fünf Alben veröffentlicht, die ich mir auch noch heute sehr gerne anhöre. Danach war dann erst mal Schluss, bis 2016 das letzte Album „Fake My Day“ rauskam, und genau da ansetzte, wo sie mit „Ass It Is“ aufgehört haben. Ihr Markenzeichen ist, neben Totos prägnanter Stimme, die scheinbar mühelos zwischen melodisch und rau wechseln kann, auch die Ska-Parts, die teilweise auch einen ganzen Song ausmachen. Auf der Beach-Stage funktionierte das, wie zu erwarten, hervorragend. Es waren schon Einige anwesend und ich freute mich zu hören, dass die drei Jungs in der halben Stunde eine schöne Mischung aus alten und neuen Songs zum Besten gaben. Das erste Lied, das ich von SKIN OF TEARS kannte, „Joking Apart“, war für mich eines der Highlights des kurzweiligen Sets, dass mit „Wild World“ vom genialen „Out of Line“-Album endete.
Nach einem hervorragenden Spicy Seitan Kebab für 7,- € verbrachte ich den Rest des Mittags zwischen Zeltplatz, Skateplatz (bestehend aus Miniramp, Quarterpipe und ein paar Curbs) und der Beach-Stage, auf der um 17 Uhr die MURDERBURGERS aus Schottland spielten. Festes Mitglied ist Sänger, Gitarrist und Songschreiber Fraser; die Positionen am Schlagzeug und am Bass wurden in der Vergangenheit immer wieder neu besetzt. Doch hier beim PRH traten sie in der gleichen Besetzung wie schon im Mai in der Alten Hackerei in Karlsruhe an, wo sie für WONK UNIT eröffnet hatten. Und auch hier am Strand wurde das 40-minütige Set runtergeknüppelt, als gäbe es kein Morgen mehr. Frasers melodiöser Gesang trägt die Songs, die fast immer fröhlich klingen, doch meist seine Depression und die daraus resultierenden Probleme des täglichen Lebens zum Thema haben. Dabei kommen dann Songs wie „My Head Is Fucked Again“, „All My Best Friends Are Dying” oder „It’s Over Already“ raus. Dass er seinen Humor nicht versteckt, zeigen Songs wie “Wank, Florida, Wank“ (wer erkennt die Anspielung?), „Unemployment, Here I Come“ oder nicht zuletzt seine sympathischen Ansagen, die unter anderem den Aufdruck seines Shirts („Serious Musician“) erklärten. Hat mal wieder mega Spaß gemacht mit den Schotten, die 2012 mit ihrem Album „How To Ruin Your Life“ eins meiner Lieblingsalben herausgebracht haben. Noch zu erwähnen wäre, dass ich während des Konzerts Anton, nicht aus Tirol, sondern aus Freiburg getroffen habe. Die Punkwelt ist ein Dorf, herrlich.
Im Anschluss spielten CHASER aus Kalifornien ihre schnelle und melodische Musik, die manche auch Skate-Punk nennen. Melody-Core hat man auch schon gehört. Am gebräuchlichsten ist aber wohl die Bezeichnung Melodic Punk. Synonyme sind schon was Cooles. Ich habe den Namen CHASER bis dato noch nie gehört und war überrascht zu erfahren, dass sie bereits seit 2000 am Start sind. Ihr Sound ist handwerklich gut gemacht, doch irgendwie wollte der Funke bei mir nicht so recht überspringen. Aber als Hintergrundmusik zum Bierchen am Wasser trinken und plaudern, taugte es allemal.
Doch um kurz vor sieben hieß es ab zur vier Minuten entfernten Hauptbühne, um sich nach den MAD CADDIES die zweite Band des großartigen FAT WRECK CHORDS-Labels auf dem PRH anzusehen, und zwar die BOMBPOPS. Klingen die zwei Damen an den Klampfen und Gesang und die zwei Herren, jeweils am Bass und Schlagzeug, auf Platte schon gut, so knallten sie live um einiges besser rein. Der Gesang von Poli und Jen wechselte zwischen zuckersüß und total rotzigen Passagen gekonnt ab und so holten sie zusammen mit ihren Mitstreitern alles aus ihrem ohnehin schon geilen Repertoire raus. Und das waren viele Songs von ihrem letzten Album „Fear Of Missing Out“ von 2017, aber auch die ältere Nummer „Outta Hand“ und der Titelsong ihrer letzten EP „Dear Beer“. Das THE BOMBPOPS so geil abliefern würden, hätte ich nicht gedacht, freute mich mit meiner Reisegruppe dafür aber umso mehr darüber.
Die Band, die versuchte, das eben Erlebte zu toppen, waren die VOODOO GLOW SKULLS. Die zweite Ska-Punk-Band im Line-Up der Main-Stage. Doch während die MAD CADDIES die ewigen Sympathieträger sind, sind die VOODOO LOW SKULLS im Vergleich dazu der unberechenbare und tablettenabhängige Stiefvater, der auch gern mal im Amphetaminrausch seine Stiefkinder schlägt und den Papagei anschreit, während die Ehefrau weinend vor ihrem olivenlosen Martini am Küchentisch sitzt. Als die Band das Intro spielte, sprang der Sänger mit einem bunten Poncho und mit einer Wrestlingmaske mit Teufelshörnern bekleidet und einem Voodoo-Stab, auf dem ein Totenkopf thront, auf die Bühne, und die Voodoo-Messe begann. Die Hispanos aus Kalifornien ballerten einen Hit nach dem anderen raus, und davon haben sie viele. Ihr erstes Album „Who Is, This Is?“ stammt schließlich aus dem Jahre 1993. Danach kamen bis 2000 fünf Alben auf EPITAPH raus (PUNKORAMA-Sampler-Beiträge en masse), bis ich sie Anfang des Millenniums aus den Augen verlor. Im Nachhinein betrachtet, ein Fehler. Ihr düsterer und bedrohlicher Stil hob sie schon damals von allen anderen Bands des Genres ab und daran hat sich bis heute nichts geändert. Als sich der Sänger zur Mitte des Sets des Ponchos und der Maske entledigte, war ich doch etwas verwundert. Hatte der nicht früher mal kurze Haare? Ist wahrscheinlich einfach lang her (nachträgliche Recherche ergab, dass Frank, der Originalsänger, 2017 nach vier Alben für VICTORY RECORDS ausgestiegen ist und dass jetzt Efrem von DEATH BY STEREO an Bord ist. Und ich kann nur sagen, dass er, gesanglich und was die aufgekratzte Performance betrifft, einen exzellenten Job macht). Nach zig Songs, wie z. B. „Voodoo Anthem“, „El Coo Cooi”, „Fire In The Dancehall“ und natürlich „Charlie Brown“, bildete ein letztes „Who do voodoo? We do, fuck you!“ einen würdigen Abschluss. Was für eine kranke, aber geile Voodoo-Ska-Punk-Messe!
Danach dann der Beweis, dass Hardcore keineswegs von prolligen Dumpfbacken übervölkert ist, auch wenn es heutzutage oft den Anschein hat. H2O aus New York City entsprechen glücklicherweise nicht dem ärmlichen Stereotyp des NY/HC-Hörers, der es einmal im Jahr aus der Muckibude zu AGNOSTIC FRONT ins Atlantik schafft, und sich dort mit spastischen Kicks versucht, zu profilieren. Nein, H2O leben die von den BAD BRAINS besungene P.M.A. (Positive Mental Attitude) und übertragen diese in die Gegenwart. Und das in einem stets melodischen Gewand, dem es aber nie an Kraft und Ausstrahlung fehlt. Als zweiten Song gleich den Überhit „Everready“ rausgehauen und ansonsten wurde auch nicht an Singalongs gespart. Das Banner zeigte das „Nothing To Prove“-Artwork. Haben sie das nicht vor Jahren schon im Walfisch mit dabeigehabt? Wie Sänger Toby erklärt, ist es mittlerweile das zehnte Jubiläumsjahr der Scheibe. Wie so oft auf dem PRH wurde einem bewusst, wie schnell die Zeit doch vergangen ist. Aber so ist das nun mal und der Spaß nahm seinen Lauf und Songs wie „Guilty By Association“, „Family Tree“, „Nothing To Prove” und natürlich auch das geniale „What Happened?“ ließen die Meute vor und auf der Bühne zu Höchstform auflaufen. Bei Letztgenanntem stand die Bühne mal wieder voller glücklicher Menschen, sodass man die Band nicht sehen konnte und sogar auf der Stage Crowdsurfing betrieben wurde. Die große Frage war, wer bei „What Happened?“ Matt Skibas Part übernehmen sollte. Aufgrund der Massen auf der Bühne konnte man es nicht erkennen, doch der Dude hat es auf alle Fälle ordentlich gemacht. H2O Go!
Was nun folgen sollte, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausmalen können. Die SATANIC SURFERS aus Schweden betraten unter dem Teufelskopf-Banner ihres 95er-Albums „Hero Of Our Time“ die Bühne und legten mit „Egocentric“, dem ersten Lied ihrer „Skate To Hell“-EP von 93 einen heftigen Start hin. Im Vorfeld waren schon Gerüchte laut geworden, dass Rodrigo, der von 94 bis 2000 Schlagzeug gespielt und dabei gesungen hatte, danach aber an den Gesang gewechselt war, für einige Shows wieder vom Schlagzeug aus singen würde. Das Internet labert viel, doch diesmal stimmte es tatsächlich und es reihten sich ausschließlich Hits der Alben und EPs bis 1999 im Set. 2000 bis 2005 erschienen noch mal drei Alben, bis sich die Band kurze Zeit später auflöste. Rodrigo sang zwischenzeitlich bei ATLAS LOSING GRIP und letztes Jahr kamen sie wieder als SATANIC SURFERS zusammen, was schließlich in dem diesjährigen Album „Back From Hell“ mündete, dass heute allerdings ausgespart wurde. In den 60 Minuten, erklangen all die Hits, mit denen ich groß geworden bin und die man auf den Tonträgern „Skate To Hell“, „Hero Of Our Time“, „666 Motor Inn“ und „Going Nowhere Fast“ findet. Sogar von der „Keep Out“-EP, der ersten CD, die ich je von den SATANIC SURFERS besaß und von der ich zuvor noch nie ein Lied live gehört hatte, spielten sie „Sunshiny Day“ und, laut eigener Aussage, aufgrund der beschissenen politischen Lage der Gegenwart mit all den Nazis allerorten auch „Don’t Skate On My Ramp“. Was für ein krasser Abriss! Kein Wunder also, dass es mich und andere der Reisegruppe von Anfang an in den Circle Pit, vor und auf die Bühne zum Stagediven zwang. Es war unglaublich, wie in den ersten Reihen wirklich alle jedes Wort mitsangen, das aus den Boxen kam. Und das über die gesamte Länge der Show. So muss es sein, Euphorie ahoi! Abgeschlossen wurde das Konzert mit dem alten Klassiker „Nun“ und dem nicht minder klassischen „Head Under Water“. „I wonder how long can you keep your head under water” aus tausend Kehlen zu hören macht mächtig Eindruck. Dieses Konzert wird wohl nie zu toppen sein, komme, was wolle. Was für eine Freude, die Band, die mich in meiner Jugend am maßgeblichsten geprägt hat, in solch einer Höchstform und mit so vielen netten Menschen erleben zu dürfen!
Jetzt erst mal verschnaufen, ein kühles Bier, noch ein Bierchen nebst Zigarette und dann weiter im Programm. Und das Programm kündigte die BEATSTEAKS an. Die Hoffnung war, dass sie, die ja aus dem Punk/Hardcore-Kontext kommen, sich für das PRH darauf zurückbesinnen und die Setlist dementsprechend gestalten. Also mehr „48/49“, „Launched“ und „Living Targets“ und weniger Songs aus den radiotauglichen Folgealben. Die Hoffnung wurde jäh zerstört. Als sie während des Sets ein Lied ihres Debütalbums ankündigten, war es nicht „Indifferent“ oder „Unminded“, sondern lediglich der nur ein paar Sekunden lange Song „Barfrau“. Haha, selten so gelacht… Nicht. Man hört ja immer, was für eine Spielfreude die BEATSTEAKS an den Tag legen sollen. An diesem Abend war davon aber nichts zu spüren. Ich dachte, dass das nur an mir liegen würde, doch auch der Rest der Reisegruppe hatte diesen Eindruck. Geboten wurde letztlich ein, wie es schien, straff durchgeplantes Konzert mit Stadionrock-Ansagen. Wie die Lieder im genauen heißen, kann ich nicht sagen. Aber man kennt sie noch aus den Tagen von VIVA2 oder von der Hintergrundmusik der Kaufhäuser. Ganz nett, aber nicht mehr. Zum Abschluss gab es dann noch ein paar Coverversionen, die den Gesamteindruck aber eher verschlechterten als verbesserten. Wer „Ace Of Spades“, „Teenage Kicks“ oder gar „Where Is My Mind?“ covert, der offenbart nicht nur seine Einfallslosigkeit, sondern tritt sicher auch kleine Welpen mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen. Ich bewahre mir den Eindruck, den sie bei mir als erste Vorband bei 59 TIMES THE PAIN und THUMB im Freiburger Jazzhaus hinterlassen haben. Es wird eben nicht alles besser. Nach einer fetten Portion Pommes mit Mayo und Tabasco wurde es eindeutig Zeit, die Afterparty am Zeltplatz steigen zu lassen. Crash! Boom! Bang!
09.08.2018 – Tag 4
Beim Aufwachen machte sich nicht nur der wenige Schlaf bemerkbar, und so ging es nach einem starken Kaffee an einen der vielen Strände. Der eine Teil unserer Reisegruppe hatte eine Stand-Up-Paddling-Tour gebucht und der andere kurierte seinen Kater in der Sonne und im kühlen Nass des Gebirgsflusses aus. Da die Party gestern ziemlich ausgeufert war, dauerte die Erholung auch länger als geplant, und so mussten die IRISH HANDCUFFS, die um kurz nach drei auf der Beach-Stage spielen sollten, geopfert werden. Mit etwas Glück holen sie die Lucky Booking-Dudes ja mal wieder nach Freiburg. THIS IS A STANDOFF zu sehen hat dann auch nicht geklappt, so dass wir es erst wieder zu BAD COP/ BAD COP, einer weiteren FAT WRECK-Band, zur Mainstage schafften. Und wieder einmal wurde uns bewusst, was für ein glückliches Händchen Fat Mike hat, was es betrifft, die echten Perlen aus dem Punkrock-Sumpf zu fischen. Die vier kalifornischen Damen, die als Eingangsmusik „Breaking The Law“ gewählt hatten, hatten Übermelodien im Gepäck, scheuten sich aber auch nicht davor, dabei mal etwas ruppiger zu Werke zu gehen. Die Songs sind Punkrock und nicht Melodic-Punk und waren somit eine gelungene Abwechslung zu dem fast dauerhaften, wenn auch qualitativ hohem, Hochgeschwindigkeitsgeknüppel. Ihre bisherigen Alben „Not Sorry“ und „Warriors“ boten eine gute Grundlage, um die 45 Minuten mit geilen Songs zu füllen, wie z. B. „Cheers“, „Sugarcane“, „Nightmare“, „Womanarchist“, „Broken“, etc. Hier gilt es auch hervorzuheben, wie die Band ihre Stimmen nutzt, um mit Doppel- und Backgroundgesang die Songs auf ein nächstes Level zu heben. Bei diesen lieblichen Melodien verflog auch der letzte Rest des Katers und die Vorfreude auf THE LILLINGTONS stieg ins Unermessliche.
Die LILLINGTONS existieren mit längeren Pausen zwischendrin bereits seit 1995 und haben sich dem Pop-Punk verschrieben. Also Pop-Punk im Sinne der RAMONES. Was Menschen in Basketball-Jerseys, die New Found Glory hören, Pop-Punk nennen, ist Easy-Core und verdient keinerlei Beachtung. Wieder was gelernt im Schubladendenken, gern geschehen! Angefangen haben die LILLINGTONS damals noch recht unspektakulär, doch mit der Zeit haben sie ihren vom klassischen RAMONES-Punk beeinflussten Stil textlich erweitert und Geschichten über den Kalten Krieg, Spionage, Außerirdischen-Angriffe und generell Science-Fiction-Themen einfließen lassen. Dies schlug sich auch in der Musik nieder, die immer noch simpel gehalten, aber mit der Zeit gespenstischer und generell unheimlicher wurde. Albentitel, wie „Death By Television“ und „The Too Late Show” sprechen eine deutliche Sprache. Letzteres erschien 2006 und die Hoffnung, dass die Band jemals wieder aktiv werden würde, tendierte gen Null, nicht zuletzt, da Sänger und Gitarrist Kody zwischenzeitlich bei TEENAGE BOTTLEROCKET eingestiegen war und mit ihnen bis heute Alben aufnimmt und erfolgreich tourt. Umso erfreulicher war die Ankündigung, dass im Winter 2017 ein neues Album erscheinen sollte. Als es dann soweit war, und „Stella Sapiente“ erschien, war die Freude nicht bei allen groß, ich aber war restlos begeistert. THE LILLINGTONS haben auf dieser Platte ihren Sound perfektioniert und letztlich auch gefunden. Dass haben sie mit einem deutlichen Einschlag von düsteren New Wave- und Metal-Elementen geschafft, wobei sie bei alledem ihre Pop-Punk-Wurzeln in jedem Moment durchscheinen lassen. Das Album ist jetzt schon ein Klassiker. Wie das nun live funktionieren solle und ob sie überhaupt alte Songs spielen würden war im Vorfeld die große Frage.
THE LILLINGTONS starteten mit einem sphärischen Intro, dass sich in das „Drawing Down The Stars“ mit seinem genialen Metal-Riff (oder doch Pop-Punk-Riff?) entlud. Direkt danach ein altes, fröhlicheres Stück, „I Saw The Apeman (On The Moon)”, das direkt in eine überschnelle Version von „Murder On My Mind“ überging. Im Folgenden war das Konzert in vier Blöcke unterteilt, zwischen denen für eine halbe Minute obskure Geräusche zu hören waren und in denen man nichts auf der Bühne außer den Grablichtern auf den Amps sah. Der nächste Block begann stets mit einem neueren Stück, in zweiten Fall „London Fog“. „Codename: Peabrain“ als Nächstes war wieder einer der älteren Evergreens, der frenetisch mitgesungen wurde. Es wurde also ein perfekter Mix aus allen Alben geboten, in den sich die neuen Lieder einwandfrei einfügten. Hier eine kleine Liste der dargebotenen Songs: „Invasion Of The Saucermen“, „Don’t Trust The Humanoids“, „Black Hole In My Mind“, „War Of The Worlds” und zum krönenden Abschluss „Lillington High“, bei dem alle den Bandnamen fleißig mitbuchstabierten. Die LILLINGTONS haben bewiesen, dass sie nicht nur Hits, sondern wahre Punk-Klassiker geschrieben haben und diese auch ohne Ermüdungserscheinungen darbieten können.
Die folgenden TALCO aus Italien boten netten Ska-Punk, den ich eindeutig schon schlechter gehört habe. Aber eben auch schon bedeutend besser, siehe MAD CADDIES bzw. VOODOO GLOW SKULLS an den Vortagen. Zum sich mit seinen alten und neugewonnenen Freunden bei einem Bierchen auszutauschen war es jedoch eine gute Hintergrundmusik.
Dass LAGWAGON eine Bank sind, hat sich mittlerweile rumgesprochen. Die erste von Fat Mike gesignte Band für FAT WRECK machte auch an diesem Abend eine würdige Figur und nach einem Intro („Burden Of Proof “), dass nur von Joey Cape und einer Akustikgitarre bestritten wurde, brach mit „Reign“ die Melodic-Punk-Hölle erneut los. Neben ihren unzähligen Hits ihrer 28 Jahre währenden Karriere spielten sie heute auch das gesamte „Let’s Talk About Feelings“-Album (inklusive der eingespielten Skits), welches dieses Jahr sein 28-jähriges Jubiläum feiert. Neben den SATANIC SURFERS noch so eine Band, die mich gefühlt schon mein ganzes Leben begleitet. Der Sound war zu Beginn etwas dürftig, doch dies änderte sich glücklicherweise recht bald und dem fröhlichen Reigen stand nichts mehr im Wege. Das Publikum schien die ganze Zeit mitzusingen und so werden aus Unbekannten schnell Freunde und die Reisegruppe war selig. LAGWAGON können nichts falsch machen und lieferten einen genialen Mix ihres Schaffens mit u. a. „Island Of Shame“, das bittersüße „Violins“, „Coffee and Cigarettes“ (laut eigener Aussage Joeys zwei liebste Dinge), „Sleep“ und zum Abschluss, als Tribut an den leider viel zu früh verstorbenen Tony Sly, den NO USE FOR A NAME-Song „Exit“. Ein mehr als gelungener Abschluss eines Sets, das einem Headliner des PRH mehr als würdig war. Auf zur Zeltparty, die immer größere Ausmaße annahm! Cheers, mate!
10.08.2018 – Tag 5
Nach dem letzten Badetag fing der Spaß mit NOTHINGTON aus San Francisco auf der Beach-Stage an, die sich gerade auf ihrer allerletzten Tour befinden. Wirklich schade drum, denn die Band spielt eine Art von Punkrock, wie sie nur ganz wenige gut hinbekommen. Simpel, aber nicht billig und dabei hymnisch, ohne jedoch aufgesetzt zu wirken. Zu Beginn wurden „The Escapist“ und „Where I Stand“ am Stück rausgehauen, was die Menge vor der Beach Stage deutlich in Verzückung versetzte. NOTHINGTON ist auch eine der Bands, die sich songweise beim Gesang abwechseln, was mir immer schon gut gefallen hat. Hier gab es folglich zweimal melodisches Reibeisen deluxe. Die Band spielt bereits seit über zehn Jahren zusammen und hat somit viele Hits im Gepäck, die sie während der dreiviertel Stunde einen nach dem anderen schnörkellos rausknallten. Da wären u. a. „Far To Go“, „The Ocean“, „Last Time” und zum krönenden Abschluss „St. Andrews Hall”. Das war’s wohl. Lebewohl, NOTHINGTON! War schön mit Euch!
Als nächstes die Erfahrung gemacht, dass der Bacon-Burger für 6,-€ leider nicht so geil wie erhofft, das triefende Pizza-Margherita-Stück für 4,-€ (ein Reisegruppe-Favourite) aber der Hammer war.
Als nächstes im Billing, ADHESIVE aus Schweden. Die Jungs haben mit ihrem Debüt-Album „Sideburner“ einen Melodic Punk-Meilenstein geschaffen, ihren Sound anschließend um Punkrockelemente erweitert, was ihnen sehr gut zu Gesicht stand und sie somit aus der Masse der zur Jahrtausendwende stagnierenden Bands des Melody-Core-Sektors hervorstechen ließ. Hervorzuheben sind auch ihre stets durchdachten sozialkritischen und politischen, aber auch persönlichen Texte, wie z. B. „Silence Itself Is A Form Of Oppression“. Nach zwei weiteren Alben, „From Left To Right“ und „We Got The Beat” war dann aber leider Schluss. Seit letztem Jahr spielen sie glücklicherweise wieder Shows. Bemerkenswert daran ist, dass diese Entscheidung daraus geboren wurde, mit der Reunion etwas Sinnvolles zu bewegen. Und so spenden sie alle Gewinne dieser Shows an die Wohltätigkeitsorganisation ÄRZTE OHNE GRENZEN. Das fügt sich perfekt in das in ihren Liedern vermittelte Weltbild ein. Eine große Geste, Hut ab!
Die Show war ein 40-Minütiger 90s-Teenage-Punk-Dream-Come-True. Songs, wie „Nothing Is Won” und „Scottie“ sind für die Ewigkeit geschrieben. Es schien mir, als hätten sie ziemlich alle Songs von „Sideburner“ gespielt und dazwischen auch noch andere Songs wie z. B. „Dividing Lines“ eingestreut. So sieht ein perfektes Set aus. „Scent Of Life“ machte den mustergültigen Abschluss und ich hatte ein fettes Grinsen im Gesicht. Der einzige Wermutstropfen ist, dass ADHESIVE klar gemacht haben, dass dies eine einmalige Sache bleiben wird und keine neue Musik zu erwarten sei, denn für sie „it’s back to being punk rock retirees again“. Es gilt also zum zweiten Mal am heutigen Freitag Abschied zu nehmen. Lebewohl, ADHESIVE! Danke für Alles!
AUTHORITY ZERO ist so ein Name, den ich schon oft gelesen habe, von der Band allerdings noch nie einen Ton gehört habe. Aufgrund der Spielzeit (halb zehn auf der Hauptbühne) und den Publikumsreaktionen müssen sie schon ein recht großes Ansehen haben. Und was sie brachten war keineswegs schlecht, doch vom Hocker riss es mich nicht. Technisch versiert zu sein ist auf dem PRH eben kein Alleinstellungsmerkmal. Ebenso wenig, zackig zu spielen, hier und da einen kleinen Mosh-Part einzubauen, der dann zum Singalong-Teil führt. Alles in allem durchschnittlicher Melodic Punk. Der Meute hat’s aber gefallen, es flogen Luftballons über die Köpfe der vorderen Reihen und die Stagediver sprangen fröhlich in die Menge. Vielleicht hör ich mir ja doch mal ein Album der Jungs aus Amiland an.
Bevor mit THE LAWRENCE ARMS die vorletzte Band des Festivals aufspielen sollte, ergab sich noch folgende amüsante Anekdote: Ich befand mich gerade im Gespräch mit einem unserer englischen Zeltnachbarn, als plötzlich aus den Boxen der Hauptbühne seltsam vertraute Klänge an mein Ohr drangen. Das ist auf einem Musikfestival erstmal nichts Besonderes, aber als ich realisierte, dass es sich um „Tigres del Norte“ von KIDS PLAY DEAD handelte, war die Überraschung groß. Hierzu muss man erklären, dass die Veranstalter im Vorfeld Bands dazu aufriefen, ihnen Songs zu schicken, die dann eventuell zwischen den Bands gespielt werden würden. Dass ich das gemacht habe, hatte ich kurz danach schon wieder vergessen. Umso größer die Freude, mein Lied direkt vor den LAWRENCE ARMS zu hören. Wenn man schon nicht auf dem PRH live spielt, dann zumindest das, hahaha! Krasser Moment.
Und unmittelbar darauf betraten THE LAWRENCE ARMS die Bühne und zündeten ein Feuerwerk ihrer zahllosen Hits. Einige davon hatten ihre beiden Sänger Brendan Kelly und Chris McCaughan übrigens bereits am frühen Abend akustisch präsentiert, was schon echt geil war, aber kein Vergleich dazu, was bei ihrer Show auf der Mainstage noch kommen sollte.
Los ging’s dann mit “The Slowest Drink At The Saddest Bar On The Snowiest Day In The Greatest City”. Schon der Titel zeigt, dass die Jungs poetischen Punkrock spielen, dessen Melodien stets gleichermaßen von Melodie und Rauheit getragen werden. Was das Songwriting betrifft, sind hier zwei Schwergewichte am Start, die auch schon in anderen Bands (u. a. THE FALCON, SUNDOWNER, etc.) oder auch solo in Erscheinung getreten sind. „Great Lakes/ Great Escapes“ oder „Chapter 13: The Hero Appears“ sind nur zwei der unverkennbaren Kleinode, die die perfekt eingespielte Band an diesem Abend darbot. Als Vorletztes „100 Resolutions“ von der Single-Compilation „Cocktails And Dreams“, dessen Ende noch schöner und ergreifender als auf der Studioaufnahme dargeboten wurde und zum Abschluss „Are You There Margaret? It’s Me, God“ ihres vorletzten Albums „Oh! Calcutta!“, wo Chris und Brendan um ein Weiteres bewiesen, wie gut sich (nicht nur) ihre Stimmen ergänzen. Was für eine intensive Show einer der Ausnahmetalente des Punkrock-Zirkus.
Als letzte Band des Festivals traten schließlich BAD RELIGION auf die Bretter des PRH. Es liegt auf der Hand, dass wenn sie sich nicht 1980 gegründet hätten, es keiner der anderen Bands geben würde, die hier die letzten Tage gespielt haben. BAD RELIGION sind unumstritten die Vorreiter des Melodic Punk-Genres und auch wenn eine Band behaupten würde, nicht direkt von ihnen beeinflusst geworden zu sein, so kann man zweifelsohne sagen, dass ihre jeweiligen Idole BAD RELIGION in irgendeiner Art in ihrer Musik verarbeitet haben. NOFX, z. B. haben sich seiner Zeit von Brett Gurewitz und Greg Graffin erst erklären lassen, wie sie gesangliche Harmonien in ihre Songs einarbeiten.
Ein hochkarätiger Act also, der in den nächsten gut 70 Minuten das PRH beschließen würde. Und bei 16 Studioalben war klar, dass die Band eine gute Auswahl treffen musste und natürlich auch im Einzelfall ein Lieblingslied des Einzelnen nicht berücksichtigt werden konnte. Und meiner Meinung nach haben sie die Aufgabe bestens gemeistert: „Generator“ zum Einstieg brachte das gesamte Publikum sofort zum Kochen, und bei Folgesongs, wie u. a. „Stranger Than Fiction“, „Anesthesia“, „Punk Rock Song“ „21st Century (Digital Boy), oder „Sorrow“ blieb der stimmungsmäßige Siedepunkt stets erhalten. Und die Energie ging nicht nur von der Musik aus; man merkte allen Bandmitgliedern aufrichtige Spielfreude an, was sich nicht nur in dem dicken Grinsen von Jay Bentley, dem Bassisten, sondern auch in der Agilität aller anderen Musiker offenbarte. Greg Graffin ist mittlerweile 54 Jahre alt und versprüht dabei einen dermaßen junggebliebenen Charme, dass es eine wahre Freude ist. Weniger erfreulich ist es, dass die Texte der Songs, wie beispielsweise „American Jesus“ oder „Fuck Armageddon, This Is Hell”, nichts an Aktualität eingebüßt haben. Und diese zwei wurden, nach einem meiner ewigen Lieblingslieder, „Infected“, direkt nacheinander präsentiert.
Danach folgte mit „You Are (The Government)“ der Einstieg in den nächsten Block des Sets, der aus dem kompletten 88er Album „Suffer“ bestand. Nach LAGWAGON die zweite Jubiläumsscheiben-Feier beim PRH. Dazu muss, denke ich, nichts mehr groß gesagt werden. Ein Klassiker jagte den nächsten und „Do What You Want“ war wieder einer dieser großen Punkrock-Momente, in denen man sich nur wundert, wie es Menschen schaffen, derartig geile Songs zu schreiben und diese dann jahrelang dermaßen passioniert zu spielen. Beendet wurde das Konzert dann mit dem letzten Lied des Albums, „Pessimistic Lines“, und nach einer kurzen Danksagung von Jay Bentley an die Veranstalter des PRH, vor allem aber an die Fans, war alles vorbei. Glücklich, dies alles erlebt haben zu dürfen, gingen wir zurück an unseren Zeltplatz.
Zeitsprung zu Samstag, 06. August 2018: Tag 6
Nach der Rückfahrt, die Dank des gewitzten Beifahrers auch ohne Stau überstanden wurde, und dem Entladen des Busses, lag sich die Reisegruppe ein letztes Mal für diese Woche in den Armen. Kaputt zwar, aber dafür freudestrahlend und mit der Gewissheit, dass jeder Einzelne auch im nächsten Jahr wieder mit dabei sein wird, wenn es heißt: „Auf nach Tolmin zum PUNKROCK HOLIDAY 2019!“
Ich schließe den Bericht an dieser Stelle mit einem BAD RELIGION-Zitat, das die vergangene Woche perfekt beschreibt: „Sometimes truth is stranger than fiction.“
Aloha!
Artemio,